Seit bald vier Jahren darf ich Dezernent unserer Stadt Landau sein. Noch immer gilt, dass mich keine Aufgabe so begeistert, mir keine andere so viel bedeutet. Dass vergangenen Freitag ein Mann in dem Haus, in dem ich mit meiner Frau lebe, die Rücknahme von Verkehrsmaßnahmen forderte und mir Gewalt androhte, wird daran nichts ändern. Ich habe mich dennoch dazu entschieden, es öffentlich zu machen, weil Demokratie und Gewalt sich nicht vertragen.
Was passierte
Vergangenen Freitag war ich allein zuhause. Es klingelte, ich erwartete niemanden. Wohnungstür und Haustür öffnete ich gleichzeitig. Ein Mann, der sein Gesicht von mir und der Kamera im Hof abgewandt hielt, forderte in der Haustür stehend die Rücknahme von Einbahnstraßen und drohte mir mit Gewalt. Er wisse, wo ich wohne, und werde das Verbreiten. Erst verdutzt folgte ich ihm wütend, als er sich von der Haustür entfernte. Zwischen Straße und Haustür schrien wir uns an. Die Bedrohungen wurden wiederholt, ich beleidigte ihn unter anderem als Feigling.
Sicherheitsbehörden
Anschließend ging ich ins Haus, schloss beide Türen von innen und rief die Polizei. Diese war schnell vor Ort. Etwas später gab ich bei der Kriminalpolizei meine Aussage ab. Die Spurensicherung erfolgte noch am selben Abend, am folgenden Tag war der Staatsschutz zu Ermittlungen bei mir. Die Sicherheitsbehörden erfüllen ihre Aufgabe, wofür ich dankbar bin. Sie werden ihr Möglichstes tun, den Täter zu finden. Anschließend werden Gerichte über das Strafmaß entscheiden.
Kein Geheimnis
Wo ich wohne ist kein Geheimnis. Das Land Rheinland-Pfalz hielt es in der Vergangenheit schon bei ehrenamtlichen Gemeinderäten für nötig, auf jedem Wahlzettel Straße und Hausnummer anzugeben. Mit meiner Kandidatur letztes Jahr war dann auch die neue Adresse nach einem Umzug wieder so dokumentiert. Aber da kann man sich nichts vormachen: Wo ich wohne würde auch kein Geheimnis bleiben, wenn dem nicht so gewesen wäre. Landau ist eine große kleine Stadt. Und ich habe daraus auch nie versucht ein Geheimnis zu machen, unter anderem weil ich für Tanzgelegenheiten in der Innenstadt eintrete und ich es nicht für irrelevant halte, dass ich in der Nähe von zweien der drei verbliebenen Orte wohne.
Was das mit einem macht
Im ersten Moment überrascht, im zweiten wütend, im dritten geschockt. So würde ich meine Gefühle in kurzer Reihenfolge zusammenfassen. Dass jemand in das eigene Zuhause eindringt und mit Gewalt droht, das ist eine neue Qualität. Ich wusste von Kolleginnen und Kollegen, dass sowohl Frauen wie Männer, Ältere und Jüngere, aber auch Menschen quer durch alle demokratischen Parteien ähnliches erlebt haben und erleben. Doch es selbst zu erleben, gibt einem zu denken. Was, wenn meine Frau die Tür geöffnet hätte? Ich gar nicht da gewesen wäre? Wenn wir Kinder hätten, die die Tür geöffnet hätten?
Verkehrsdezernent
Meine Aufgabe ist komplex. Ich soll Mobilität so organisieren, dass unsere Klimaschutzziele erreichbar werden und Mobilität in einer ländlichen Region funktioniert. Mein ganz persönliches Ziel ist eine Stadt ohne Schwerverletzte und Tote im Straßenverkehr, wofür wir an der Verkehrssicherheit arbeiten müssen.
Stadtrat und Gemeindeordnung haben mir auf dieser Grundlage weitreichende Möglichkeiten verliehen – zum Beispiel die Anordnung von Einbahnstraßen, das Thema des Täters. Dass ich bisher aber jede dieser Entscheidungen nicht allein getroffen habe, sondern im dafür vorgesehenen Mobilitätsausschuss ist nur eine Randnotiz. Dass diese Entscheidungen, wie beispielsweise beim Quartiersverkehrskonzept Innenstadt mit den Einbahnstraßen an Post und Sparkasse sogar einstimmig fallen, das kann man wissen (weil es öffentliche Sitzungen sind und ausführlich darüber in den Medien berichtet wurde), wissen viele aber nicht. Wie auch sonst viele Menschen die komplexen Abwägungen, die wir anstellen, nicht kennen. Das müssen sie auch nicht. Immerhin hat man meistens viel damit zu tun, das eigene Leben zu bewältigen. Deshalb auch verlagern wir die Angelegenheit in unserem repräsentativen System auf Vertreterinnen und Vertreter.
Aber auch wenn wir bestens informieren, viele Beteiligungs- und Informationsformate bieten, die Entscheidungen in öffentlichen Sitzungen auf Grundlage nachlesbarer Konzepte, Regelwerke und Gesetze treffen, bleibt dieser Prozess vielen Menschen verschlossen, während die Auswirkungen (beispielsweise das Aufstellen neuer Schilder) unübersehbar wird. Ein Problem, für das ich noch keine Lösung gefunden habe. Aber das geht vielen Kolleginnen und Kollegen so. Dass bei vielen „stark umstrittenen“ Maßnahmen einige Wochen später kein Hahn mehr danach kräht, ist aber auch normal.
Gewalt zerstört Demokratie
Ich glaube an den sanften Druck des besseren Arguments. Diskussion in der Sache, unterschiedliche Blickwinkel oder unterschiedliches Einschätzen von Argumenten, all das gehört zu unserer Demokratie (auch wenn es mir auch Sorge macht, wie schlecht viele inhaltliche Debatten auf unterschiedlichen Ebenen laufen). Sich dem zu stellen betrachte ich ebenfalls als meine Aufgabe, eben weil Menschen Fragen haben. Dass es dabei immer schon positive und negative Reaktionen gab, gehört zu Politik und Demokratie.
Gewalt jedoch zerstört beides. Wenn nicht mehr Argumente, sondern Gewalt Debatten bestimmt, ist es nur eine Frage der Zeit.
Weitermachen
Schon allein weil es das Ziel des Täters war, darf die Tat inhaltlich nichts verändern. Und auch wenn ich merke, dass es mich beschäftigt, ich muss die letzten Tage oft an etwas denken: #MutundWeitermachen. Ich hoffe, dass mich das noch lange begleitet. Für eure Solidarität bin ich ehrlich dankbar.